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6. Die Gebrauchsanweisung im Vergleich zu anderen Text-Bild Kombinationen
 
Die rein formale Betrachtung der GA, also in der Regel einer Paarung von Text und Abbildung, läßt eine Verwandschaft mit anderen Medien, wie dem Comik oder dem Emblem, vermuten. Dieses Kapitel soll die verwandschaftlichen Verhältnisse der GA aufzuklären helfen und eine Einordnung in die Geschichte der Text-Bild Kombinationen ermöglichen.

6.1 Gebrauchanweisung und Emblem
 
Ich möchte mit einer formalen Beschreibung des Emblemaufbaus beginnen. Das Emblem ist eine Text-Bild-Kombination, die aus drei wesentlichen Elementen besteht:

• zuoberst einer Inscriptio, einem Motto
• in der Mitte einer Pictura, einer Abbildung
• darunter einer Subscriptio, einem Epigramm

Diese drei Elemente bilden die Einheit des Emblems. Die Pictura zeigt etwa eine Örtlichkeit, eine Pflanze oder ein Tier, einen Gegenstand oder Vorgang des menschlichen Lebens oder eine historische, mythologische, biblische Figur oder Szene. Darüber, teilweise auch noch darin, finden wir die Inscriptio bzw. das Motto in lateinischer oder griechischer Sprache. Ihre Aufgabe ist es, aus der vorhandenen Pictura einen Wahlspruch oder eine Lebensweisheit abzuleiten, ohne allerdings zu erklären, auf welche Weise Motto und Bild miteinander verknüpft sind. Dieses und somit die Ableitung einer allgemeingültigen Wahrheit, ist die Aufgabe der Subscriptio bzw. des Epigramms. Als ein Beispiel dieser Funktionsweise nennt Albrecht Schöne in seinem Buch "Emblematik und Drama" das Emblem von zwei Knaben, die nach den Früchten eines Obstbaumes schlagen und werfen. Überschrieben ist diese Abbildung mit der Inscriptio "In fertillitatem sibi ipse damnosam”, was sinngemäß heißen soll, daß Fruchtbarkeit eigenes Verderben bedeutet. Das sich daraus ergebende Rätsel bedarf einer Erklärung, die die Subscriptio liefert. Wiederum sinngemäß ist hier "die Klage des Obstbaums über die Verletzungen, die ihm seiner Früchte wegen durch die Steinwürfe und Knüppel der Buben zugefügt werden", zu finden. Diese endet in dem Resumee "daß der Fruchtbare schlimmeres leiden müsse als der Unfruchtbare."
[11]
Allerdings scheint eine solche Aufteilung - d.h. Rätselstellung durch Inscriptio und Pictura, Rätsellösung durch Subscriptio - doch nicht immer der Regel zu entsprechen. Jedes der genannten Elemente kann in seiner Funktion variieren. So scheint es teilweise so zu sein, daß
die Inscriptio lediglich eine Ergänzung in Form einer Überschrift zu
der Abbildung liefert. Desweiteren kann auch die Subscriptio lediglich eine Beschreibung der Pictura liefern, wogegen der Inscriptio bisweilen eine auslegende Rolle zu Teil wird. Darum ist es ratsamer im Bezug auf das Emblem von zwei Funktionen zu sprechen: dem Abbilden und dem Auslegen. Hierbei gilt als Prämisse, daß das Abgebildete immer mehr bedeutet als es darstellt.
Desweiteren kann davon ausgegangen werden, daß die drei Komponenten gemeinsam einen vorgegebenen unauswechselbaren Sinngehalt in sich tragen. Die sich gleichenden Subscriptiones unterschiedlicher Autoren in verschiedenen Emblematiken zu gleichen Abbildungen verdeutlichen dies.
Hier muß erklärungshalber eingefügt werden, daß die diversen im 16. Jhdt. erschienenen Emblematiken (Emblematiken: Sammelbände von Emblemen) größtenteils auf ein gleiches Repertoire von Emblemen zurückgreifen. Diese werden von den jeweiligen Autoren zwar mit neuen Subscriptiones versehen, wobei die inhaltliche Auslegung allerdings weitestgehend die gleiche ist.
Diese im 16. Jhdt. erstmalig aufgetauchten Embleme beziehen sich allerdings wiederum auf ältere Texte und Text-Bild-Kombinationen.
So sind die Wurzeln der Subscriptiones aus dem "Emblematum-Liber" (1531) von Andrea Alciati (das "Emblematum-Liber" gilt als das erste Emblem-Buch,und "Alciati" als der Erfinder des Emblems) in griechischen Epigrammen der "Anthologia Palatina cum Planudeis" (Anthologia Palatina cum Planudeis: eine Sammlung von griechischen Epigrammen) zu suchen. Generell kann das griechische Bildepigramm, welches in der Antike u.a. auf Grabsteinen zu finden ist, als Vorläufer des Emblems angesehen werden. Schöne bezeichnet das Emblem "als neue Spielart in dem großen Bereich älterer Verbindungen von Bild und Schrift - für die hier etwa die mittelalterlichen Illuminationen, Tituli, Heilsspiegel, Armenbibel, Totentänze, (...) zu nennen wären."
[11]
Zurück zum Sinngehalt des Emblems: Anspruch an das Emblem ist es, daß die Pictura auf anschauliche Weise ein Stück Wirklichkeit darstellt, desweiteren, daß sie Vorhandenes erklärbar macht. "In vielen Fällen hat offenbar auch der Emblematiker selbst den entscheidenden Anstoß vom Bilde, von einem Stück Wirklichkeit empfangen, dessen signifizierende Kraft ihm bewußt wurde." 15 Als Beispiel einer solchen Begebenheit ist das Vorwort der Emblematik von Nicolaus Taurellus (1595) zu nennen, in dem dieser schreibt:
"Als ich ein andernmal durch die Felder spazierte, (...) sah ich unter vielen Ähren, die herabhingen und zu Boden gebeugt waren, eine, die zum Himmel sich aufreckte und stolz sich erhob. Die Ursache dieses Unterschiedes habe ich leicht eingesehen, denn diese eine war natürlich wegen ihrer leeren Hülsen leichter, jene aber wurden durch ihre dichteren Körner beschwert. Wir sehen daraus, daß nicht gewichtiges Wissen, sondern eingebildete Gelehrsamkeit hochmütig macht."
[15]
Für Schöne ergibt sich daraus folgende Schlußfolgerung: "daß die Welt in all ihren Erscheinungen von verdeckten und also entdeckungsfähigen Sinnbezügen, heimlichen Verweisungen (...) durchzogen sei, ist unabdingbare Voraussetzung der Emblematik."
[11]
Aber auch für Embleme, die in ihrer Aussage nicht aus den Naturerlebnissen - also Wirklichkeitsbezeugungen der Autoren - schöpfen, gilt die "potentielle Faktizität" als Prämisse, d.h. eine mögliche Wahrhaftigkeit des Geschilderten. Embleme, die ihre Abbildungen beispielsweise der griechischen oder ägyptischen Mythologie entlehnen, erfüllen diesen Tatbestand insofern, als daß antike Darstellungen als glaubwürdige Zeugnisse angesehen werden. Ägyptische Hieroglyphen, deren Bildwelten ebenfalls in die Embleme des 16. Jhdts. eingehen, werden als Schatz geheimer Naturerkentnisse angesehen. An ihrer "potentiellen Faktizität" wird nicht gezweifelt.
Diese "potentielle Faktizität" ermöglicht die Abgrenzung gegenüber anderen Genres. Zu nennen wäre hier das "Symbol" bzw. die "Allegorie". Diese Begriffe tauchen hier in der Definition der Klassik und der Romantik auf, entsprechen also nicht unmittelbar der heutigen Deutung. Schöne zitiert in diesem Zusammenhang Jacob Friedrich Reimann (1703), der das Symbol sinngemäß als einem Bild gleichend definiert, daß der Maler nach seiner Phantasie malt. Die Bedeutung der jeweiligen dargestellten Situation wird hier nicht als vorgegeben angesehen, sondern willkürlich gewählt. "Für den eigentlich zentralen, nämlich eigen-artigen Idealtypus des Emblems aber gilt, daß er als Seiendes zugleich ein Bedeutendes darstellt, wogegen die Allegorie anderes bedeutet, als sie ist(...)".
[11]

Abschließend will ich versuchen noch einmal die Merkmale zu formulieren, die für mich das Emblem in eine verwandschaftliche Nähe zur GA rücken. Ersteinmal sind da die formalen Ähnlichkeiten, einer Aufteilung in Bild und erklärenden Text, denen in beiden Fällen die bereits geschilderte Funktion von Abbilden und Auslegen zu Teil wird. (Hierbei ist anzumerken, daß der GA natürlich eines der emblematischen Kennzeichen fehlt - die Inscriptio.) Für beide gilt die Prämisse der potentiellen Faktizität bzw. der Anspruch auf anschauliche Weise ein Stück Wirklichkeit darzustellen. Beider Anspruch ist ein Erklärbarmachen des Vorhandenen, die Menschen umgebenden.
So erfüllen die Embleme in einer Zeit in der technische Geräte noch derart primitiv sind, daß sie in der Regel keiner Erklärung bedürfen, womöglich eine Funktion, die der heutigen GA zukommt. Sie erklären den Menschen die sie umgebenden Dinge, wenn auch nicht deren Bedeutung im technischen Sinne so doch deren Bedeutungen auf einer metaphysischen Ebene.

6.2 Gebrauchsanweisung und Comic
 
Ein ähnliches verwandschaftliches Verhältnis vermute ich zwischen GA und Comic. Der Comic entwickelt sich im 19. Jhdt. Wahrscheinlich fußt er auf ähnlichen Wurzeln wie das Emblem, den Bilderbögen des 14./15. Jhdt. und auf anderen Text-Bild Kombinationen, die im Zusammenhang mit der Geschichte des Emblems bereits gennant wurden. Markant und für das Erscheinungsbild der heutigen GAs ebenso wesentlich wie für den Comic erscheint mir jedoch die Einführung eines neuen Zeichenstils im 20. Jhdt. von Hergé, dem Autor von "Tim und Struppi”. "Hergé (...) eliminierte, ganz Kind seiner Zeit, das Ornament aus diesem Zeichenstil und schuf so die Ligné Claire (...) Eben diese Klarheit, das Instruktive dieses Zeichenstils, perpetuierte sich im folgenden auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen überwinterte dieser Stil als immer wieder aufs neue verfeinerte Gebrauchsillustration im Alltag der Nicht-Kunst, der Gebrauchsanweisung und des Informations-Designs."
[10]
Die "Ligné Claire” steht, neben ihrer bildlichen Eindeutigkeit durch eine strenge, klare Linienführung für eine gradlinige Erzählstruktur und ständige Nachvollziehbarkeit. Der Text dient nicht nur der Wiedergabe des im Bild Gelesenen, sondern verschmilzt mit dem Bild zu einer Einheit. Eine Tatsache, die in einem der folgenden Kapitel mit Komplementarität zwischen Bild und Text beschrieben wird. Diese Kennzeichen scheinen auch Voraussetzung für eine funktionale GA zu sein. Leider bin ich nicht in der Lage aufzuzeigen, wer hier von wem gelernt hat. Das Studium älterer kupferstich- und ornamenthafter GAs scheint jedoch darauf hinzuweisen, daß sich das Medium GA der Eigenheiten der "Ligné Claire" zur besseren Erfüllung ihres Zwecks bemächtigt hat. Die formalen Ähnlichkeiten scheinen mir offensichtlich.