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5. Die Geschichte der Gebrauchsanweisung
Die Geschichte der GA ist eine Geschichte der Produkte, Werkzeuge und Artefakte, mit denen wir uns umgeben. Einen Motor für die Verbreitung der GAs stellt die Industrialisierung dar. Einen weiteren Anschub bekommt sie durch die Elektrifizierung der Haushalte in den 50er Jahren. Die vollkommene Umstellung von Produkteinweisung durch Verkäufer hin zur schriftlich/bildlich fixierten GA erfolgt in den 70er Jahren.
Ich werde versuchen selbige Stationen zurück bis zu den Ursprüngen der GA in diesem Kapitel zu beleuchten. Hierbei werde ich teilweise die im vorigen Kapitel aufgestellten Definitionen für GAs außer Acht lassen und mich eher dem allgemeinen Begriff der technischen Dokumentation zuwenden, um ein möglichst genaues Bild der Entwicklung innerhalb der verschiedenen Aspekte dieses Mediums zu zeichnen.
Schon in vorchristlichen Zeiten gibt es Formen der technischen Dokumentation. So ist aus alten ägyptischen Quellen (ca 1000 v. Chr.) die Existenz von Technikbeschreibungen belegt. (Hiermit meine ich das Ausüben einer Technik.) An den Königsgräbern bei Theben hinterließen die dort beschäftigten Arbeiter Dokumentationen ihrer Arbeit. So gibt es die Abbildung eines Arbeiters in gebückter Haltung vor einer Feuerstelle, die mit den Worten "In den Ofen blasen" versehen ist.
Vom Hausbau einfacher rechteckiger Häuser im 2. Jahrtausend v. Chr. läßt sich berichten, daß die Grundrisse des zu bauenden Hauses maßstabsgetreu vor Baubeginn in den Boden geritzt wurden. Für komplexere Bauten, wie beispielsweise Tempel , wurde ein proportional verkleinerter Entwurf angefertigt. Derartige Entwürfe existieren noch und sind ein Beleg für frühe Formen der technischen Dokumentation in der Architektur.
Das erste deutschsprachige Buch, welches ebenfalls in eine Technik einweist, ist das Feuerwerkbuch von 1420. In ihm geht es um die Kunst der Büchsenmeisterei. Davon umfaßt sind das Wissen um die Herstellung von Feuerwaffen aller Art, Pulvermischungen, Geschoß und Sprengmittelproduktionen sowie den sachkundigen Einsatz dieser Waffen im Kriege. In dieser Zeit werden Techniken noch mündlich überliefert oder durch eigenes Erproben erlernt. Auch verwundert dieses Buch, weil derartiges Wissen zumeist geheim gehalten wird und nur vom Meister an seinen, in der Regel in einem verwandschaftlichen Verhältnis zu ihm stehenden, Nachfolger weitergegeben wird. Das Buch gibt nicht nur Einweisungen in die auszuübenden Techniken, sondern hält auch Ratschläge bezüglich Ernährung, Moral und der allgemein Bildung des Feuerwerks-Meisters bereit. Daß das Buch, ähnlich einer GA, als Hilfe bei der Arbeit verwendet wurde, verdeutlichen die Brandspuren an einem der wenigen erhaltenen Exemplare.
Es kann davon ausgegangen werden, daß sich die technische Dokumentation vom 14. Jhdt. bis ins 19. Jhdt. nicht wesentlich weiterentwickelt hat. So werden im Mittelalter noch die architektonischen Lehrbücher der Antike benutzt. Dies geschieht nicht zuletzt deshalb, weil gerade die Architektur in der Antike sehr hoch entwickelt ist.
Eine Neuerung im Bereich der in der Renaissance verstärkt auftretenden technischen Dokumentation geht von Leonardo da Vinci aus. Dieser gilt als Erfinder einer neuen Ansicht - der "Explosionszeichnung". Das Neue daran ist, daß er nicht nur die äußere Beschaffenheit der Maschine darstellt, sondern deren Funktionsweise auf zeichnerische Weise erklärt. Es ist einem guten Handwerker der damaligen Zeit möglich, Leonardos Maschinen nachzubauen. Damit ist er seinen Zeitgenossen weit voraus.
Die technische Dokumentation des 16. Jhdts - auf sie treffen großteils schon die Kriterien der GA zu - funktionieren noch nach einem anderen Prinzip als die heutigen. Sie vermitteln Handlungsabläufe nicht durch eine Zerlegung in Standbilder bzw. "Bildscheiben" (dieses Prinzip wird in einem späteren Kapitel genauer erläutert), sondern indem sie versuchen, innerhalb eines Bildes die unterschiedlichen zu verrichtenden Tätigkeiten komprimiert wiederzugeben. So wird in einer Abbildung von 1588 ein Mann bei der Bedienung einer mechanischen Säge gezeigt. "Die Körperhaltung vereinigt die zwei Handlungen, die erforderlich sind: Mit beiden Armen werden mit Hilfe eines Hebels und eines Schwungpendels die Sägeblätter in Bewegung gesetzt und mit dem Fuß wird der zu zersägende Balken nachgeführt. Es läßt sich bezweifeln, daß eine Person beide Handlungen gleichzeitig durchführen kann." [4]
Auffällig sind auch perpektivische Fehler in der Darstellung. Diese legen, da die korrekte Perspektive zu diesem Zeitpunkt längst bekannt
ist, den Schluß nahe, daß es sich hierbei um eine didaktisch motivierte Vorgehensweise handelt. Der Autor des Bildes versucht hiermit alle Geräteteile sichtbar werden zu lassen. "Man kann von einer funktionalen Perspektive sprechen." [4]
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert die Abbildung eines Brunnens aus dem 16. Jhdt.. Auch hier findet eine "funktionale Perspektive" ihre Anwendung. Zur zusätzlichen Erläuterung der Funktionsweise des im Bilde dargestellten Brunnens wird hier ein weiteres Merkmal der Technischen Dokumentation eingeführt: die Detailansicht. In vorliegender Illustration wird dieses Prinzip genutzt, indem man den Boden neben dem Brunnen aufschneidet und die darunter verborgen liegende Mechanik vergrößert darstellt.
Ein weiteres Bild aus der Renaissance zeigt die gesammte Palette an Darstellungsmethoden, die in der Renaissance entwickelt werden: Perspektive, Schnittzeichnung, Transparentzeichnung, Bezugsbuchstaben. Das Bild stammt aus einem Standardwerk des 16. Jhdt. zum Thema Bergbau.
Eine neue Form der technischen Dokumentation stellt die "Drei-Tafel-Projektion" dar. Diese wird von Albrecht Dürer im Jahre 1528 eingeführt. Hier werden die Proportionen des menschlichen Körpers von verschieden Seiten aus dargestellt. Eigentlich empfiehlt er diese neue Form der perspektivischen Darstellung den Künstlern seiner Zeit als Werkzeug zur Veranschaulichung des menschlichen Körpers, die allerdings damals noch keinen Gebrauch davon machen.
Vorbildhafte Funktion scheinen die Bilder einer Dokumentation zum Thema Baumwollverarbeitung in der Grande Encyclopédie (1751) zu haben. Werkzeuge und Handgriffe sind mit Bezugsziffern und -buchstaben versehen, die auf den ausführlichen Begleittext verweisen. "Mit der Abbildung von Händen, nicht mehr der handelnden Person, beginnt ein Rückzug des ganzen Menschen aus der Technischen Dokumentation . Die Abbildungen in der Encyclopédie waren Vorbild für zahlreiche deutsche Nachahmer, die aber Qualität und Aussage der Kupferstiche nicht erreichten". [4]
Mit der industriellen Revolution rückt der Mensch gegenüber der Technik in den Hintergrund.
Eine Darstellung aus einer Werbung für eine Drehbank (1841) zeigt zwei Männer bei der Arbeit an einer solchen. Der linke von den beiden vollbringt sichtlich körperliche Arbeit an seiner Drehbank, wogegen der rechte, mit der Hand in einer Hosentasche, sich von seiner moderneren, maschinell unterstützten Drehbank die Arbeit abnehmen läßt. Eine Taktik, mit der man auch in den 50/60er Jahren für die Elektrifizieriung der Haushalte wirbt. Hier werden z. B. Frauen beim Lesen eines Buches oder bei anderen Freizeittätigkeiten gezeigt, weil die eigentliche Arbeit ihnen ja von ihren Maschinen abgenommen wird.
Jedoch steigt mit der industriellen Revolution auch der Bedarf an technischen Dokumentationen bzw. GAs. Dank Massenproduktion kann nun in wesentlich kürzerer Zeit eine größere Menge von Produkten hergestellt werden, mit denen man sich auch an ein breiteres Publikum wendet. Ein Großteil dieses Publikums besteht aus technischen Laien. GAs werden nicht zuletzt herausgegeben, um sich in der entstandenen Wettbewerbssituation einen Verkaufsvorteil gegenüber Mitkonkurrenten zu verschaffen.
Zurück zu der Abbildung von Händen als Ersatz für den Menschen:
Laut Steffen-Peter Ballstaedt dient die Hand in der GA bzw. technischen Dokumentation als Symbol für den handelnden Menschen. "Diese Darstellung entspricht der Aufmerksamkeitslenkung bei der Beobachtung und Nachahmung, wenn der Meister sagt: "Achte jetzt besonders auf meine Hände!" Die Verwendung von Händen ist damit ein Indiz für
die zunehmende Didaktisierung der Technischen Dokumentation. [4]
Eine psychologische Funktion wird den Händen ebenfalls zu Teil. So läßt die Art der Handhabung des Gerätes in der GA auch auf dessen Wert und dessen Handlichkeit schließen.
Auch der Pfeil findet schließlich seinen Weg in die GA. Dieser wurde
im Mittelalter als Richtungsweiser an Bäumen befestigt. Als Richtungsweiser in Abbildungen scheint er erst seit dem 19. Jhdt aufzutauchen. Dabei ist seine Darstellung realistisch. Die Pfeilspitze ist mit Widerhaken ausgestattet, das Pfeilende mit einem Federschaft versehen. In dieser antiquiert anmutenden Form bleibt der Pfeil noch lange in GAs erhalten und stellt in seiner archaischen Anmutung einen Widerspruch zum technischen Umfeld der Abbildung dar. Heute finden wir den Pfeil meist in ikonisierter Form. Er tritt dabei "in verschiedenen Bedeutungen auf: zur Darstellung von Ursache-Wirkung-Beziehungen, Zeitrichtung, Material- und Informationsfluß als Vektor, Zeiger und als Kürzel für Bewegungen." [4]
Mit der Elektrifizierung der Haushalte in den 50/60er Jahren nehmen zunehmend Elektrogeräte der Hausfrau ihre angestammten Tätigkeiten ab. Für die Funktionsweisen dieser Geräte besteht Erklärungsbedarf. Neu ist, daß sich GAs jetzt erstmalig an Laien und nicht an technische Fachleute wenden. Der Tonfall dieser GAs ist auffällig persönlich gehalten. So wendet man sich in einer GA für das Waschmittel Henko in Romanform an die Benutzerin:
"Seit dem Abend zuvor hatte die schmutzige weiße Wäsche in einer Zinkwanne mit Wasser und Henko gelegen. Nach dem zweckmäßigerweise nächtlichen Einweichen mußte sich der schlimmste Schmutz gelöst haben. (...) Der Topf war schwer. Dennoch war es für uns leichter, ihn zu zweit auf einmal hoch auf den Herd zu heben als es (...) gewesen wäre, ihn erst mit Wäsche und Wasser zu füllen, wenn er schon oben stand."
Für Bestätigung der Leserin sorgt die GA indem sie sie als "sehr sparsame Hausfrau" oder als "erfahrene Hausfrau" anspricht und sie ob ihrer Entscheidung für moderne Technik lobt.
Auch in die richtige Nutzung des erworbenen Produktes muß erst eingeführt werden. So lassen sich mit einem Vorwerk Staubsauger auch die Haare föhnen und mit Pril ein Schaumbad nehmen. Der Nutzen dieser Mehrfachfunktion von Produkten wurde bereits in einem forderen Kapitel erläutert. Eine Nachkriegs-GA für einen BOSCH-Kühlschrank, weist darauf hin, den Kühlschrank auch im Winter in Betrieb zu lassen, "denn auch im Winter treten in Küche und Speisekammer - und erst recht, wenn geheizt ist - Temperaturschwankungen auf, die den Lebensmitteln gefährlich werden." Dieser Hinweis läßt darauf schließen, daß der Kühlschrank damals noch eher saisonbedingt genutzt wird.
Luxusgeräte halten nach und nach ihren Einzug in die Haushalte. Man gönnt sich was, als Zeichen, daß es einem besser geht. Auch hier fällt der persönliche und vergnügliche Ton auf, dessen man sich in den GAs bedient. So z. B. in der GA für ein tragbares Radio namens "Baby":
"Das Baby ist, wie schon der Name andeutet, ein allerliebster, netter Batterie-Kleinst-Empfänger, der sich durch seine vielseitige Verwendungsmöglichkeit und seine hübsche handliche Form bestimmt Ihre Zuneigung erobert. Beim Sport, auf Reisen und bei fröhlichen Wanderfahrten ist Ihnen das Baby bald ein treuer Freund und unentbehrlicher Begleiter."
Dank dieser Hinwendung zum luxuriösen Lebensstil verschwinden mehr und mehr die arbeitenden Hausfrauen aus der Bebilderung der GAs. An ihrer Stelle sieht man die Dame des Hauses im Abendkleid mit Cocktailglas in der Hand, die ihrer Maschine bei der Verrichtung der Arbeit zusieht.
In der GA der 50/60er Jahre findet vermehrt die Fotografie ihre Anwendung. Man hat diese gerade als Mittel zur Verdeutlichung von authentischem Geschehen entdeckt. Dazu muß gesagt werden, daß die Illustration natürlich nach wie vor dominiert. Sie wird, weil man sich ihrer Handhabung sicher ist, verwendet, um Atmosphäre zu schaffen und ob ihrer illustrativen Qualitäten. Die Fotografie wird vor allem zur Schilderung der auszuführenden Handlungen benutzt, also zur Übermittlung sachlicher Botschaften.
Um den Hausfrauen die Angst vor dem technischen Gerät zu nehmen, wird im Text versucht, Sachverhalte möglichst bildhaft zu schildern. "Kälte erzeugen heißt physikalisch gesprochen, Wärme abführen. Das Prinzip, das hierfür bei allen Bosch Kühlschränken angewandt wird, läßt sich ganz einfach an einem gut bekannten Beispiel erklären. Sie wissen: wenn Sie etwas Kölnisch Wasser auf die Haut bringen, so entsteht dort ein Kältegefühl, weil das Kölnisch Wasser als leicht flüchtiger Stoff schnell verdampft! Dazu braucht es Wärme - und diese entzieht es der Haut. Praktisch der gleiche Vorgang spielt sich im Kühlschrank- Verdampfer ab." (BOSCH Silberstreif, 1961)
Doch auch hier gibt es Bereiche, die man der Hausfrau nicht anvertrauen mag und in Folge dessen an den Hausherren weiter zu deligieren empfiehlt. "Die Kühlmaschine einmal im Jahr zu pflegen, dazu verpflichten Sie am besten ihren Mann." (BOSCH Silberstreif, 1961).
In der Beziehung Frau/Technik tritt in den späten 60er Jahren eine langsame Normalisierung ein. Daß man der Frau mittlerweile vertraut ein technisches Gerät alleine zu handhaben, davon erzählen auch die GAs, aus denen die Hausfrau ab diesem Zeitpunkt langsam verschwindet. Sowohl Texte als auch Bilder werden versachlicht, d.h. man verzichtet auf persönliche Ansprachen und das Bild der stolzen Hausfrau neben ihrem neuen Küchengerät weicht trockenen Schilderungen von Bedienabfolgen, in denen allenfalls noch eine Hand als Synonym für den dazugehörigen Menschen auftaucht. Mit Zunahme an technischen Details der alltäglichen Geräte, die einer Erklärung bedürfen, wächst die Anzahl von detaillierten, hierarchieniedrigen Handlungsanweisungen in den GAs. (Ballstaedt spricht von unterschiedlichen Hierarchieniveaus innerhalb der GAs. Beschreibungen, die die Details, also kleinere Handlungseinheiten, angehen sind auf unteren Hierarchieniveaus. Beschreibungen ganzer Arbeitsschritte, also größerer Handlungseinheiten, sind auf einem höheren Hierarchieniveau. s. auch Kapitel 7.1) Die heutigen GAs bieten eine hohe Anzahl von Handlungen auf unterem Hierarchieniveau. Zu der Gestaltung von Abbildungen, läßt sich bemerken, daß der "Trend zu asketischen Strichzeichnungen in kleinen Formaten" geht. Es wird "auf die handlungsrelevante visuelle Information reduziert. Die Abbildung soll so gestaltet sein, daß die angezielten Lernprozesse begünstigt und unnötige Verarbeitungsprozesse vermieden werden." [4]
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